Rezension von "Die Stadt der verschwundenen Kinder"
Gaia kann aus der Enklave fliehen und durchquert mit ihrer neugeborenen Schwester das karge Ödland auf der Suche nach Zivilisation. Die findet sie dann auch in dem Dorf Sylum. Dort sind die gesellschaftlichen Regeln aber ganz anders, wie Gaia sie kennt. Eine Frau - die Matrarch - hat das Sagen. Da nur eine von zehn Geburten ein Mädchen ist, sind diese stark in der Unterzahl und werden durch strenge Gesetzte geschützt. Jede noch so kleine Berührung von Mann und Frau gilt als versuchte Vergewaltigung und der Mann wird schwer bestraft. Außerdem befällt eine Krankheit alle Neuankömmlinge, die zwar nach einigen Tagen abklingt, aber dafür verantwortlich ist, dass kein Mensch das Dorf lebend verlassen kann. Schon hunderte sind bei Fluchtversuchen kläglich gestorben und keiner weiß warum. Gaia, die sich mit ihrer aufständischen Art schnell zur Feindin der Matrarch macht, setzt alles daran, die Geheimnisse des Dorfes aufzuklären. Schon bald stößt sie auf das schreckliche Geheimnis von Sylum...
Meinung
Nachdem ich vor einem Jahr so begeistert von "Die Stadt der verschwundenen Kinder" war, konnte ich es kaum erwarten, die Fortsetzung von Gaias Geschichte zu lesen.
Obwohl sich Gaia jetzt in einer anderen Gesellschaft befindet als im ersten Teil, sind viele Aspekte ähnlich wie in der Enklave. Auch hier kommt es aufgrund der Isolation zu Erkrankungen. Zunächst weiß man nicht, warum in Sylum fast keine Mädchen mehr geboren werden und viele Männer unfruchtbar sind. Erst nach einer von Gaia durchgeführten Autopsie (die ich persönlich besonders cool fand), erhält man Aufschluss über das Problem des Dorfes: Die unfruchtbaren Männer haben zusätzlich zu ihren männlichen, auch weibliche Geschlechtsorgane. Ich hätte dann gerne noch mehr über die Krankheit erfahren, aber leider steht diese nicht so sehr im Mittelpunkt der Handlung wie die Bluterkrankheit in Teil Eins. Toll finde ich es aber, dass sich die Autorin hier wieder einer wirklich existierenden, chromosomalen Erkrankung bedient hat.
Leider waren auch die Geheimschriften, die mich im ersten Teil so fasziniert haben, nicht mehr so stark vertreten. Gaia findet nur eine Botschaft ihrer Großmutter, die verschlüsselt ist. An dieser Stelle möchte ich den Übersetzern einmal ein großes Lob aussprechen, denn ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass sie an dieser einen Botschaft mehre Stunden gesessen sind, um sie möglichst authentisch zu übersetzten.
Während in "Die Stadt der verschwundenen Kinder" nur am Rande von einer Liebesbeziehung die Rede ist, steht diese in "Das Land der verlorenen Träume" mehr im Mittelpunkt. Gestört hat mich jedoch, dass diese für viele Jugendbücher mittlerweile zum Standard gewordenen Dreiecksbeziehungen, sogar auf eine Vierecksbeziehung erweitert wurde. Gaia hat zwischendurch drei Jungs, zwischen denen sie sich einfach nicht entscheiden kann, das war mir gelinde gesagt zu unrealistisch.
Gaia hat mich dennoch wieder von sich überzeugt, besonders beeindruckt hat mich ihr starker Wille und die Tatsache, dass sie alles andere als ein Mitläufer ist. Während sich viele andere vielleicht mit den neuen, ungewöhnlichen Regeln arrangiert hätten, kämpft sie mit aller Macht gegen die offensichtliche Ungerechtigkeit. Man könnte sie durchaus auch als Revolutionärin und als Befreierin der Gesellschaft bezeichnen. Auch ihr nicht enden wollender Mut und ihr Durchhaltevermögen am Pranger machen sie in meinen Augen zu einer Heldin. Ich wünschte es würde in der Realität mehr Menschen, wie Gaia geben.
Auch die Nebencharaktere sind wieder sehr überzeugend. Allen voran die Matrarch, die man trotz ihrer Einstellung und ihres Verhaltens nicht hassen kann. Auch die Brüder Will und Peter sind mir ans Herz gewachsen und auch ich könnte zwischen den beiden keinen Favoriten wählen. Und dann gibt es noch Leon, den wir ja bereits aus Teil Eins kennen...
Fazit
Caragh O'Brien hat ihr Erfolgsrezept aus Dystopie, Geheimschriften, genetischen Erkrankungen und Liebe fast genauso gut angewandt wie in Teil Eins, nur auf das pubertäre Gefühlschaos von Gaia hätte ich verzichten können.
Herzlichen Dank für dieses Rezensionsexemplar an